Garten-Lyrik

  • Frühlingsnacht

    Übern Garten durch die Lüfte

    Hört ich Wandervögel ziehn,

    Das bedeutet Frühlingsdüfte,

    Unten fängt's schon an zu blühn.


    Jauchzen möcht ich, möchte weinen,

    Ist mir's doch, als könnt's nicht sein!

    Alte Wunder wieder scheinen

    Mit dem Mondesglanz herein.


    Und der Mond, die Sterne sagen's,

    Und in Träumen rauscht's der Hain,

    Und die Nachtigallen schlagen's:

    Sie ist deine, sie ist dein!



    Joseph Freiherr von Eichendorff 

  • Gefunden

    Ich ging im Walde

    So für mich hin,

    Und nichts zu suchen,

    Das war mein Sinn.


    Im Schatten sah ich

    Ein Blümchen stehn,

    Wie die Sterne leuchtend,

    Wie Äuglein schön.


    Ich wollt´es brechen,

    Da sagt es fein:

    Soll ich zum Welken

    Gebrochen sein?


    Ich grub´s mit allen

    Den Würzlein aus,

    Zum Garten trug ich´s

    Am hübschen Haus.


    Und pflanzt´ es wieder

    Am stillen Ort,

    Nun zweigt es immer

    Und blüht so fort.



    Johann Wolfgang von Goethe

  • Der Garten

     In einem Garten weil' ich gerne

    Im Dämmerschein,

    Und blicke sehnend in die Ferne

    So ganz allein.

    Die Sterne droben wandeln still

    Und ich kann träumen, wie ich will

    In einem Garten.


    In einem Garten in der Kühle

    Da träumt sich's gut,

    Das Herz mit seinem Wehgefühle

    Ist still und ruht.

    Und Vöglein singen im Gebüsch,

    Und Blumen duften balsamfrisch

    In einem Garten.


    In einem Garten ging ich wonnig

    An Liebchens Hand;

    Die Auen lachten maiensonnig

    Und alles Land.

    Es war so schön, so wunderschön,

    Nun immer möcht' ich mich ergchn

    In einem Garten.


    In einem Garten möcht' ich schlafen

    Im Mutterschoos.

    Ein Blumengrab mein Friedenshafen,

    Mein Bettlein Moos.

    Ihr Freunde, keinen Leichenstein!

    Sterb' ich, so senkt mich liebend ein

    In einem Garten.



    Ludwig Bechstein 

  • Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten

    Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten

    Nebelschleiern sich enthüllen

    Und dem sehnlichsten Erwarten

    Blumenkelche bunt sich füllen;


    Wenn der Äther, Wolken tragend,

    Mit dem klaren Tage streitet,

    Und ein Ostwind, sie verjagend,

    Blaue Sonnenbahn bereitet,


    Dankst du dann, am Blick dich weidend,

    Reiner Brust der Großen, Holden,

    Wird die Sonne, rötlich scheidend,

    Rings den Horizont vergolden.

     


    Johann Wolfgang von Goethe 

  • Der alte Garten

    Kaiserkron und Päonien rot,

    Die müssen verzaubert sein,

    Denn Vater und Mutter sind lange tot,

    Was blühn sie hier so allein?


    Der Springbrunn plaudert noch immerfort

    Von der alten schönen Zeit,

    Eine Frau sitzt eingeschlafen dort,

    Ihre Locken bedecken ihr Kleid.


    Sie hat eine Laute in der Hand,

    Als ob sie im Schlafe spricht,

    Mir ist, als hält ich sie sonst gekannt –

    Still, geh vorbei und weck sie nicht!


    Und wenn es dunkelt das Tal entlang,

    Streift sie die Saiten sacht,

    Da gibts einen wunderbaren Klang

    Durch den Garten die ganze Nacht.

     


    Joseph Freiherr von Eichendorff 

  • Zärtlichkeit

    Der blaue und der weiße Flieder

    Umduftet unsere Laubenbucht,

    Goldregen pendelt auf uns nieder

    Der blütenschweren Zweige Wucht.


    Viele weiße Schmetterlinge fliegen,

    Der Spötter singt im Rosendorn,

    Ganz langsam sich die Zweige wiegen.

    Ein warmer Wind geht über das Korn.


    Die Sonne spielt auf deinen Händen,

    Die lässig ruhn auf deinem Kleid,

    Mein Blick will sich davon nicht wenden,

    Mein Herz denkt lauter Zärtlichkeit.



    Hermann Löns 

  • Sommer

    In einem kühlen Brunnen

    vernimmt man leises Brummen

    Es glänzt auf Wassers Spiegelung

    ne Hummel pummelig dort rum


    Herauf steigt sie in Pendelkreisen

    will naschend über Blumen reisen


    Sie sieht mich nicht

    und fliegt ganz dicht

    am Brunnenrand

    streift meine Hand

    hinein ins Licht


    Lindenblüten leihen leis

    auf des Windes Spiel Geheiß

    meinem Herzen ihren Tanz

    - ihr Röcklein weht in gelbem Glanz


    Mein Blick geht um

    streift Berg und Tal

    im Grillenzirpen lieget stumm

    der Sommer...

    wiedermal



    Tobias Schlimme

  • Herbst

    Astern blühen schon im Garten,

    Schwächer trifft der Sonnenpfeil.

    Blumen, die den Tod erwarten

    Durch des Frostes Henkerbeil.


    Brauner dunkelt längst die Heide,

    Blätter zittern durch die Luft.

    Und es liegen Wald und Weide

    Unbewegt in blauem Duft.


    Pfirsich an der Gartenmauer,

    Kranich auf der Winterflucht.

    Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,

    Welke Rosen, reife Frucht.



    Detlef von Liliencron

  • Astern

    sollten

    überallhin verpflanzt

    einen Sternenhimmel

    über die Erde bilden



    Johann Wolfgang von Goethe 

  • Rosenrot

    Auf Leinen lag die Rose rot

    erzählte leis von ihrem Tod

    Welk neigten sich

    Blätter und Blüte

    wie mitleidend: Oh, meine Güte


    Ach, armes, zartes Blümelein

    voll süßer Schönheit reich und rein

    in deinem Sterben liegst du hier

    gereichst dem Welken selbst zur Zier


    Wer dich jetzt möcht berühren

    will an sein Herze nur dich führen

    rührt nicht nach deinem welken Glanz

    schenkt dir den eig'nen Schmerz zum Kranz


    Auf Leinen lagst du Rose rot

    erzähltest leis' auch meinen Tod

    Wie ich auf dich als Rose blickt

    sich alle Zeit zu weiten schickt


    Heut' noch tanzt du gar so froh

    durch meinen Geist, ganz lichterloh

    Rot auf dem weißen Leinen

    kann ich vor Glück dich weinen


    Was hell noch heute uns belebt

    war längst in alles Sein gewebt

    als Zeiten unumkehrlich Lot

    als Lebens unerlöschlich Rot



    Tobias Schlimme

  • Gespräch im Wald

    Birke

    in dunkelschwerer Erde

    wurschtelt mit Wurzeln

    Nachbar Eiches

    Klein Hasels

    Vater Farns


    Birke,

    wie du wächst

    ich staune nur


    Birke:

    ja ich wachse


    Birke,

    wohin wächst du


    Birke:

    Gar nicht weit

    nur ins Licht


    Eiche lacht


    Eiche,

    kann ich Samen sein

    fliegen, tanzen mit dem Wind

    hierhin, dorthin

    was ist Horizont


    Birke,

    du warst Same

    bist geflogen

    hast getanzt

    nun steh


    Eiche,

    deine Samen

    trägt das Eichhorn

    raschelt im Laub

    macht sich aus dem Staub


    Eiche:

    Sieh, meine Äste wachsen

    wie das Eichhorn läuft


    Eiche,

    deine Äste

    wachsen tief in den Wald


    Eiche:

    Bleib

    Bleib hier bei mir


    Eiche, ich kann nicht

    der Wind zaust mein Laub

    mein Samen tanzt fort


    Birke steh!


    Birke: Nee



    Tobias Schlimme

  • Mit einer Hyazinthe

    Aus dem Zaubertal dort nieden,

    Das der Regen still umtrübt,

    Aus dem Taumel der Gewässer

    Sendet Blume, Gruß und Frieden,

    Der dich immer treu und besser,

    Als du glauben magst, geliebt.


    Diese Blume, die ich pflücke,

    Neben mir vom Tau genährt,

    Läßt die Mutter still zurücke,

    Die sich in sich selbst vermehrt.

    Lang entblättert und verborgen,

    Mit den Kindern an der Brust,

    Wird am neuen Frühlingsmorgen

    Vielfach sie des Gärtners Lust



    Goethe 

  • Aus dem Tagebuch

    Wenn der Sommer sich verkündet,

    Rosenknospe sich entzündet,

    Wer mag solches Glück entbehr`n?

    Das Versprechen, das Gewähren,

    Das beherrscht in Florens Reich

    Blick und Sinn und Herz zugleich



    Goethe 

  • Zwei Seelen

    Weit und schön ist die Welt, doch o wie

    dank ich dem Himmel daß ein Gärtchen

    beschränkt, zierlich, mein eigen gehört.

    Bringet mich wieder nach Hause!


    Was hat ein Gärtner zu reisen?

    Ehre bringt's ihm und Glück,

    wenn er sein Gärtchen versorgt.



    Goethe 

  • Heideröslein

    Sah ein Knab ein Röslein stehn,

    Röslein auf der Heiden

    War so jung und morgenschön,

    Lief er schnell, es nah zu sehn,

    Sah' s mit vielen Freuden.

    Röslein, Röslein, Röslein rot,

    Röslein auf der Heiden.


    Knabe sprach, Ich breche dich,

    Röslein auf der Heiden!

    Röslein sprach, ich steche dich,

    Daß du ewig denkst an mich.

    Und ich will's nicht leiden

    Röslein, Röslein, Röslein rot,

    Röslein auf der Heiden.


    Und der wilde Knabe brach s'

    Röslein auf der Heiden;

    Röslein wehrte sich und stach,

    Half ihm doch kein Weh und Ach,

    Mußt es eben leiden.

    Röslein, Röslein, Röslein rot,

    Röslein auf der Heiden.



    Goethe 

  • Erden

    Erde werde für mich Licht

    kraftvoll tanze ich in dich

    arbeite mich stetig vor

    öffne mir im Fels ein Tor


    Erde werde meine Nahrung

    löse mich von all Erfahrung

    dunkel liegt dein Duft bereit

    speis mich mit Ergebenheit


    Erde werde in mir Leben

    tief spür ich dich in mir regen

    tränke mich in warmen Armen

    meinen Durst still mit Erbarmen


    Erde werde in mir Schweigen

    rausche still in Wellenreigen

    welk mich leise in der Nacht

    zieh mich zu dir

    schmelz mich sacht


    Erde wiege mich in Träumen

    die in Vielgestalt umsäumen

    was ich tief im Herzen bin

    Dort nur wachse ich auch hin


    Erde halte deine Hand

    über mich in jedem Land

    richte mir ins Lot den Sinn

    dass er dein Wind ist

    und ich bin



    Tobias Schlimme

  • Im Herbst

    Der schöne Sommer ging von hinnen,

    Der Herbst, der reiche, zog ins Land.

    Nun weben all die guten Spinnen

    So manches feine Festgewand.


    Sie weben zu des Tages Feier

    Mit kunstgeübtem Hinterbein

    Ganz allerliebste Elfenschleier

    Als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.


    Ja, tausend Silberfäden geben

    Dem Winde sie zum leichten Spiel,

    Sie ziehen sanft dahin und schweben

    Ans unbewußt bestimmte Ziel.


    Sie ziehen in das Wunderländchen,

    Wo Liebe scheu im Anbeginn,

    Und leis verknüpft ein zartes Bändchen

    Den Schäfer mit der Schäferin.



    Wilhelm  Busch 

  • Du mußt das Leben nicht verstehen ...

    Du mußt das Leben nicht verstehen,

    dann wird es werden wie ein Fest.

    Und laß dir jeden Tag geschehen

    so wie ein Kind im Weitergehen

    von jedem Wehen

    sich viele Blüten schenken läßt.


    Sie aufzusammeln und zu sparen,

    das kommt dem Kind nicht in den Sinn.

    Es löst sie leise aus den Haaren,

    drin sie so gern gefangen waren,

    und hält den lieben jungen Jahren

    nach neuen seine Hände hin.



    Rainer Maria Rilke

  • Baches Glück

    Du musst des Glückes Lauf nicht planen

    dann wird es gluckern wie ein Bach

    und lässt dich süß bald schon erahnen

    als in manch Böschungs Erdenarmen

    im Sonnnenwarmen

    sein Wellenspiel ans Ufer lacht


    Sein Bett zu messen und zu rahmen

    das kommt dem Bach nicht in den Sinn

    Hört man tief murmeln ihn, hell mahnen?

    Noch wie in Urzeit seine Ahnen

    gibt er sich stetig seinen Bahnen

    gleich jeder neuen Wendung hin



    Tobias Schlimme

  • Sklave des Gartens

    Im übrigen bin ich, nicht ungern,

    der Sklave meines Gartens,

    wo ich samt meiner Frau

    fast jede freie Minute arbeite.

    Es macht mich sehr müd und ist etwas

    zuviel, aber mitten in alledem, was die

    Menschen heut tun, fühlen, denken und

    schwatzen, ist es das Klügste und

    Wohltuendste, was man tun kann.



    Hermann Hesse

  • Blümlein und Schmetterling

    Sie war ein Blümlein hübsch und fein,

    Hell aufgeblüht im Sonnenschein.

    Er war ein junger Schmetterling,

    Der selig an der Blume hing.

    Oft kam ein Bienlein mit Gebrumm

    Und nascht und säuselt da herum.

    Oft kroch ein Käfer kribbelkrab

    Am hübschen Blümlein auf und ab.

    Ach Gott, wie das dem Schmetterling

    So schmerzlich durch die Seele ging.

    Doch was am meisten ihn entsetzt,

    Das Allerschlimmste kam zuletzt

    Ein alter Esel fraß die ganze

    Von ihm so heiß geliebte Pflanze.

     


    Wilhelm Busch 

  • Knabe und Veilchen I

    Knabe:

    Blühe liebes Veilchen,

    Das so lieblich roch,

    Blühe noch ein Weilchen,

    Werde schöner noch.

    Weist du was ich denke,

    Liebchen zum Geschenke,

    Pflück ich Veilchen dich,

    Veilchen freue dich!


    Veilchen:

    Brich mich stilles Veilchen,

    Bin die Liebste dein,

    Und in einem Weilchen

    Werd ich schöner seyn!

    Weist du, was ich denke,

    Wenn ich duftend schwenke

    Meinen Duft um dich:

    Knabe liebe mich!

     


    Achim von Arnim & Clemens Brentano 

  • Knabe und Veilchen II

    Heute, Veilchen, hol‘ ich dich,

    Mußt du fort mit mir!

    Und das liebe Veilchen spricht:

    „Knabe, laß mich hier!


    Laß mich hier im Sonnenschein

    Auf der grünen Au!

    Tages labt mich Maienluft,

    Nachts des Himmels Tau.”


    Alles was du wünschen kannst,

    Hast du auch bei mir:

    Maienluft und frischen Trank

    Will ich geben dir.


    „Wenn du mir auch Alles gibst,

    Nimmst mir doch mein Glück:

    Meine Heimat gibst du mir

    Nimmermehr zurück.”



    August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 

  • Die Quelle

    Eine große Trockenheit war über das Land gekommen. Zuerst war das Gras braun und grau geworden. Dann starben die Büsche und kleinere Bäume. Kein Regen fiel, der Morgen erwachte ohne die Erfrischung des Taues.


    Die Tiere waren in großer Anzahl verdurstet, denn nur wenige hatten noch die Kraft gehabt, aus dieser Wüste zu fliehen.


    Die Trockenheit dauerte an. Selbst die stärksten, ältesten Bäume, deren Wurzeln bis tief in die Erde reichten, verloren ihre Blätter. Alle Brunnen und Flüsse, die Quellen und Bäche waren vertrocknet.


    Eine einzige Blume war am Leben geblieben, denn eine ganz kleine Quelle gab noch ein paar Tropfen Wasser.


    Doch die Quelle war am Verzweifeln: "Alles vertrocknet und verdurstet und stirbt. Ich kann doch daran nichts ändern. Wozu soll es noch sinnvoll sein, daß ich die paar Tropfen aus der Erde hole und auf den Boden fallen lasse".


    Ein alter, kräftiger Baum stand in der Nähe. Er hörte die Klage und sagte noch zur Quelle, bevor er starb: "Niemand erwartet von Dir, die ganze Wüste zum Grünen zu bringen. Deine Aufgabe ist es, einer Blume Leben zu geben. Mehr nicht".

     


    Afrikanisches Märchen 

  • Herbstlied

    Der Frühling hat es angefangen,

    Der Sommer hat‘s vollbracht.

    Seht, wie mit seinen roten Wangen

    So mancher Apfel lacht!


    Es kommt der Herbst mit reicher Gabe,

    Er teilt sie fröhlich aus,

    Und geht dann, wie am Bettelstabe

    Ein armer Mann, nach Haus.


    Voll sind die Speicher nun und Gaden,

    Daß nichts uns mehr gebricht.

    Wir wollen ihn zu Gaste laden,

    Er aber will es nicht.


    Er will uns ohne Dank erfreuen,

    Kommt immer wieder her:

    Laßt uns das Gute drum erneuen,

    Dann sind wir gut wie er.

     


    August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 

  • Gänseblümchen

    Auf unserem Rasen befinden

    sich lauter weiße Flecken

    aus zarten Gänseblümchen,

    weil niemand sich traut,

    sie abzumähen.



    Annegret Kronenberg 

  • Zum Heiligtum wird uns der Garten

    Zum Heiligtum wird uns der Garten,

    Heilig das kleinste Stückchen Land,

    Wo wir der Blumen liebend warten,

    Die wir gepflanzt mit eigner Hand.

    Ob in den Gärten rings umher

    Auch andre Blumen stolzer prangen:

    Doch die uns selber aufgegangen,

    Die eignen Blumen freun uns mehr.


    Wir sehn im Lenz die Blätter sprießen,

    Die künft'ge Rose ahnungsvoll

    In Zarter Knospe sich verschließen,

    Die herrlich sich entfalten soll.

    Und der verwelkte Rosenstrauch,

    Deß Duft und Glanz uns einst entzückte,

    Als ihn die Pracht des Sommers schmückte,

    Bleibt teuer uns im Herbste auch.


    So kann auch Liebe nicht vergessen,

    Ob ihre Jugend längst verblüht,

    Was sie an jungem Glück besessen,

    Der Duft und Glanz lebt im Gemüt,

    Und was der Winter auch verweht:

    Die Zeit des Knospens und des Glanzes,

    Bleibt uns im Geist als schönes Ganzes,

    Wir wissen, daß es neu ersteht.


    Mag mehr und mehr das Alter geizen

    Mit dem was Jugend reichlich beut,

    An äußern Gaben, holden Reizen —

    Wer sich bewährter Liebe freut,

    Behält ihr bestes Teil zurück.

    Was außen welkt, erblüht im Innern,

    Das Herz bleibt jung und sein Erinnern

    Bewahrt uns das vergangne Glück.



    Friedrich Martin Bodenstedt 

  • Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

    Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

    Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

    Und kam die goldene Herbsteszeit

    Und die Birnen leuchteten weit und breit,

    Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,

    Der von Ribbeck sich beide Taschen voll.

    Und kam in Pantinen ein Junge daher,

    So rief er: "Junge, wiste 'ne Beer?"

    Und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn,

    Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn".


    So ging es viel Jahre, bis lobesam

    Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

    Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,

    Wieder lachten die Birnen weit und breit;

    Da sagte von Ribbeck: "Ich scheide nun ab.

    Legt mir eine Birne mit ins Grab."

    Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

    Trugen von Ribbeck sie hinaus,

    Alle Bauern und Bündner mit Feiergesicht

    Sangen "Jesus meine Zuversicht".

    Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

    "He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?"


    So klagten die Kinder. Das war nicht recht -

    Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;

    Der neue freilich, der knausert und spart,

    Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

    Aber der alte, vorahnend schon

    Und voll Mißtrauen gegen den eigenen Sohn,

    Der wußte genau, was er damals tat,

    Als um eine Birn' ins Grab er bat,

    Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus

    Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus. 


    Und die Jahre gehen wohl auf und ab,

    Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

    Und in der goldenen Herbsteszeit

    Leuchtet's wieder weit und breit.

    Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,

    So flüstert's im Baume: "Wiste 'ne Beer?"

    Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Lütt Dirn,

    Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn."


    So spendet Segen noch immer die Hand

    Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.



    Theodor Fontane 

  • Der stille Garten

    Mir blüht ein stiller Garten

    Im schattiggrünen Grund,

    Der Blumen da zu warten,

    Vergnügt mich manche Stund;

    Wird mir mein Haus zu enge,

    Der Tag zu trüb und grau:

    Flücht' ich aus dem Gedränge

    In seine Friedensau.


    Wenn rings des Schicksals Wetter

    Die Saaten mir zerschlug:

    Dort säuseln goldne Blätter

    In sanfter Lüfte Zug;

    Wenn mir voll Neid und Tücken

    Die Welt mein Glück zertrat:

    Dort mag sie nicht zerknicken

    Ein einzig Blumenblatt.


    Da blühet noch die Rose

    Womit ich einst gespielt,

    Als kosend mich im Schoße

    Die junge Mutter hielt;

    Da wehen Veilchendüfte

    Von Lenzen die dahin,

    Da säuseln durch die Lüfte

    Verklungne Melodien.


    Da wandle ich alte Pfade

    In meiner Jugend Hain,

    Da les' ich Gottes Gnade

    Auf manch bemoostem Stein,

    Und viel geliebte Schatten,

    Um die ich heiß geweint,

    Sie gehn auf grünen Matten

    Aufs neue mir vereint.


    Und ob an Leichensteinen

    Mein Pfad vorüberführt:

    Ich kann so selig weinen,

    Von mildem Weg geführt,

    Weil sanft von weichem Moose

    Der harte Grabstein schwillt,

    Und Immergrün und Rose

    Das schwarze Kreuz umhüllt.


    Ihr Traurigen und Matten,

    O kommt in diesen Hain,

    In seinen heil'gen Schatten

    Vergesset eure Pein,

    Hier atmet ihr noch Frieden

    Und ungetrübtes Glück,

    Der Chor der Eumeniden

    Bleibt scheu am Tor zurück.


    Und trinkt ihr von der Quelle,

    Die dort im Garten springt:

    Wird euer Auge helle,

    Wird euer Herz verjüngt;

    Was euch den Blick umfloren,

    Das Herz bedrängen mag:

    Ihr fühlt euch neu geboren,

    Euch glänzt ein heitrer Tag.


    Kämst du im Witwenschleier:

    Du wirst zur jungen Braut,

    Die dem geliebten Freier

    Verschämt ins Auge schaut;

    Schleichst du als Greis am Stabe:

    Dein Haar wird wieder braun,

    Du spielst als froher Knabe

    Auf deiner Kindheit Au'n.


    Schwämmst du auf öden Meeren,

    Umsaust vom rauhen Sturm:

    Du darfst die Glocken hören

    Vom heimatlichen Turm;

    Lägst du in Schuld und Harme

    Auf morschem Kerkerstroh:

    Du wirst in Mutterarme

    Ein Kindlein fromm und froh.


    Ja gehn in Not und Sünden

    Dir alle Pfade aus:

    Du wirst dich heimwärts finden

    Ins traute Vaterhaus,

    Wenn an des Gartens Schwelle

    Du weinend niedersankst,

    Aus seiner Wunderquelle

    Dir neue Jugend trankst.


    Was ist der Gnade Locken

    Nach dem verlornen Sohn?

    Von alten Heimatglocken

    Ein halbverwehter Ton!

    Was macht dein Auge rinnen,

    Wenn du in Reue weinst?

    Ein schmerzliches Besinnen

    Ach! auf ein selig Einst!


    Was ist im tiefsten Innern

    Der Weisheit höchster Fund?

    Ein blitzendes Erinnern

    An aller Dinge Grund!

    Was ist in Freudenstunden

    Der Seele reinstes Glück?

    Ein Flug nur auf Sekunden

    Zu ihrem Quell zurück!


    Was ist der Weltgeschichte,

    Der Gotteswege Schluss?

    Das Ziel, dahin sich richte

    Der Zeiten Strom und Fluss?

    Zurück muss er sich winden,

    Dahin, woher er floss,

    Und seinen Ursprung finden

    In seines Schöpfers Schoß!


    Drum geh ich gern zum Garten

    Im stillen grünen Grund,

    Der Blumen da zu warten,

    Vergnügt mich manche Stund;

    Betrübte macht er fröhlich,

    Und Greise macht er jung,

    Und Sünder macht er selig,

    Er heißt E r i n n e r u n g .



    Karl von Gerok 

  • Der Rosenelf

    Inmitten eines Gartens wuchs ein Rosenstrauch,

    der war ganz voller Rosen,

    und in einer davon, der schönsten von allen,

    wohnte ein Elf; er war so winzig klein,

    daß kein menschliches Auge ihn sehen konnte,

    hinter jedem Blatt in der Rose

    hatte er so wohlgestalt und hübsch,

    wie ein Kind nur sein konnte,

    und hatte Flügel an den Schultern,

    hinab bis zu den Füßen.

    Oh, es war ein Duft in seinen Zimmern,

    und wie hell und schön waren die Wände!

    Sie waren ja die feinen hellrosa Rosenblätter.

     


    Hans Christian Anderssen 

  • Kostbarer Garten

    Der Garten ist der letzte Luxus unserer Tage,

    denn er erfordert das,

    was in unserer Gesellschaft am kostbarsten ist,

    Zeit, Zuwendung und Raum.

     


    Dieter Kienast 

  • Atem der Blüten

    Und da der Atem der Blüten

    in der Luft süßer duftet

    als in der Hand,

    ist es,

    um in diesen Genuß zu kommen,

    wichtig,

    die Pflanzen zu kennen,

    die ihren Wohlgeruch

    am besten in der Luft entfalten.

     


    Francis Bacon 

  • Brennesseln

    Wenn ihr an Nesseln streifet,

    So brennen sie;

    Doch wenn ihr fest sie greifet,

    Sie brennen nie.

    So zwingt ihr die Feinen,

    Auch die gemeinen Naturen nie.

    Doch preßt ih wacker

    Wie Nußaufknacker,

    So zwingt ihr sie.



    Friedrich Rückert 

  • Die glückliche Gärtnerhand

    Welch ein Gärtner auf Erden kann sich rühmen solcher glücklichen Hand wie ich! Ein schönes Bäumchen streichelt ich, um den jungen Wildling mir zu schmeidigen, täglich mit den Händen. Unterm Streicheln, o Wunder, sind am glatten, schlanken, hölzernen Stämmchen unversehens mir zwei Äpfelchen in die Hand gewachsen.



    Friedrich Rückert 

  • Sonett

    Schön ist die Rose, schöner scheint sie noch

    Durch jenen süßen Duft, der in ihr lebt.

    Wildrosen haben gleicher Farben Glut,

    Die gleichen Dornen wie die duft'gen Rosen,

    Sie spielen mit dem gleichen Übermut,

    Wenn Winde sie enthüllen und umkosen.


    Doch ihre Tugend ist nur ihr Gesicht,

    Sie leben ungeliebt, verblühn am Strauch

    Und sterben zwecklos - das tun Rosen nicht,

    Aus ihrem süßen Tod strömt süßer Hauch.

    So, schöner Liebling, wenn die Jugend flieht,

    Strömt deiner Treue Duft aus meinem Lied.



    William Shakespeare 

  • Geheimnis des Gartens

    Ein Geheimnis war es nie.

    Komm, lies es aus den Blumenstauden.

    Natur erzählt's mit Poesie,

    und Vögel singen's in den Gartenlauben.



    Ralph Waldo Emmerson 

  • An meine Rose

    Frohlocke, schöne junge Rose,

    Dein Bild wird nicht verschwinden,

    Wenn auch die Glut, die dauerlose,

    Verweht in Abendwinden.


    So süßer Duft, so helle Flamme

    Kann nicht für irdisch gelten;

    Du prangst am stolzen Rosenstamme,

    Verpflanzt aus andern Welten;


    O weilten wir in jenen Lüften,

    Wo keine Schranke wehrte,

    Daß ich mit deinen Zauberdüften

    Die Ewigkeiten nährte! –


    Doch hat, du holde Wunderblume,

    Mein Herz voll süßen Bebens

    Dich mir gemalt zum Eigentume

    Ins Tiefste meines Lebens.

     


    Nikolaus Lenau 

  • Abendhimmel

    Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;

    unzählig blüh'n die Rosen

    und ruhig scheint die gold'ne Welt:

    oh dorthin nimmt mich purpurne Wolken

    und möge droben in Licht und Luft

    zerrinnen mir Lieb' und Leid!



    Friedrich Hölderlin 

  • Der September

    Das ist ein Abschied mit Standarten

    aus Pflaumenblau und Apfelgrün.

    Goldlack und Astern flaggt der Garten,

    und tausend Königskerzen glühn.


    Das ist ein Abschied mit Posaunen,

    mit Erntedank und Bauernball.

    Kuhglockenläutend ziehn die braunen

    und bunten Herden in den Stall.


    Das ist ein Abschied mit Gerüchen

    aus einer fast vergessenen Welt.

    Mus und Gelee kocht in den Küchen.

    Kartoffelfeuer qualmt im Feld.


    Das ist ein Abschied mit Getümmel,

    mit Huhn am Spieß und Bier im Krug.

    Luftschaukeln möchten in den Himmel.

    Doch sind sie wohl nicht fromm genug.


    Die Stare gehen auf die Reise.

    Altweibersommer weht im Wind.

    Das ist ein Abschied laut und leise.

    Die Karussells drehn sich im Kreise.

    Und was vorüber schien, beginnt.

     


    Erich Kästner 

  • Winternacht

    Verschneit liegt rings die ganze Welt,

    Ich hab nichts, was mich freuet,

    Verlassen steht der Baum im Feld,

    Hat längst sein Laub verstreuet.


    Der Wind nur geht bei stiller Nacht

    Und rüttelt an dem Baume,

    Da rührt er seinen Wipfel sacht

    Und redet wie im Traume.


    Er träumt von künft´ger Frühlingszeit,

    Von Grün und Quellenrauschen,

    Wo er im neuen Blütenkleid

    Zu Gottes Lob wird rauschen.

     


    Eichendorff 

  • Im Garten im Mondlicht

    Im Garten im Mondlicht

    vernehm ich leises

    Flüstern und Streiten


    Lilien und Rosen

    streiten, wer schöner

    von ihnen blühe;


    Wenden die Häupter

    nach mir hin - ich gehe


    Der Mond sieht euch blühen,

    Der solls entscheiden!



    Justinus Kerner 

  • Die Lilien

    Seht die Lilien an, wie sie wachsen

    Sie spinnen nicht, sie weben nicht

    Ich sage Euch aber daß auch Salomo

    in all seiner Herrlichkeit

    nicht gekleidet gewesen ist

    wie eine von ihnen



    Lukas 12,27 

  • Aus Genesis 2 und 3

    Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.


    Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte.


    Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.


    Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt er sich und wird zu vier Hauptflüssen.


    [...]


    Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.


    Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben.


    [...]


    Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.


    Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?


    Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.


    Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben.

    Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.


    Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.


    Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.


    Als sie Gott, den Herrn, im Garten gegen den Tagwind einherschreiten hörten, versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott, dem Herrn, unter den Bäumen des Gartens.


    Gott, der Herr, rief Adam zu und sprach: Wo bist du?


    Er antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.


    Darauf fragte er: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe?


    Adam antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen.


    Gott, der Herr, sprach zu der Frau: Was hast du da getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen.

     


    Die Bibel 

  • Verschlossener Garten

    Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, Braut, eine verschlossene Tür, ein versiegelter Quell.


    Deine Bewässerungsrinnsale sind ein Granatparadies mit köstlichen Früchten, Kophersträuchern samt Nardenpflanzen;

    Narde und Safran, Würzrohr und Zimt mit allerlei Weihrauchhölzern, Myrrhe und Aloë samt allen vornehmsten Duftgewächsen.

    ein Gartenquell, ein Brunnen frischen Wassers und ein Naß,

    das vom Libanon rieselt.


    Erhebe dich, Nordwind, brause heran, o Südwind! Wehe durch meinen Garten, daß seine Düfte niederrieseln! Es komme mein Liebster in seinen Garten und esse seine köstlichen Früchte!



    Hoheslied 4,12-16 

  • Frühling übers Jahr

    Das Beet schon lockert

    Sich's in die Höh'

    Da wanken Glöckchen

    So weiß wie Schnee;

    Safran entfaltet

    Gewalt'ge Glut,

    Smaragden keimt es

    und keimt wie Glut.

    Primeln stolzieren

    So naseweis,

    Schalkhafte Veilchen

    Versteckt mit Fleiß;

    Was auch noch alles

    Da regt und webt,

    Genug, der Frühling

    Er wirkt und lebt.



    Goethe 

  • Gärtnerinnen

    Euren Beifall zu gewinnen,

    Schmückten wir uns diese Nacht,

    Junge Florentinerinnen

    Folgten deutschen Hofes Pracht;


    Tragen wir in braunen Locken

    Mancher heitern Blume Zier;

    Seidenfäden, Seidenflocken

    Spielen ihre Rolle hier.


    Denn wir halten es verdienstlich,

    Lobenswürdig ganz und gar,

    Unsere Blumen, glänzend künstlich,

    Blühen fort das ganze Jahr.


    Allerlei gefärbten Schnitzeln

    Ward symmetrisch Recht getan;

    Mögt ihr Stück für Stück bewitzeln,

    Doch das Ganze zieht euch an.


    Niedlich sind wir anzuschauen,

    Gärtnerinnen und galant;

    Denn das Naturell der Frauen

    Ist so nah mit Kunst verwandt.



    Johann Wolfgang von Goethe 

  • Rosen

    Ihr verblühet, süße Rosen

    Meine Liebe trug euch nicht;

    Blühtet, ach, dem Hoffnungslosen

    Dem der Gram die Seele bricht!


    Jener Tage denk' ich trauernd,

    Als ich, Engel, an dir hing,

    auf das erste Knöspchen lauernd

    Früh zu meinem Garten ging.

     


    Johann Wolfgang von Goethe 

  • Der Gärtner und sein Herr

    Ein Gartenfreund, halb Städter und halb Bauersmann, besaß bei einem Dorf ein hübsches Gartenfeld. Das hat er voller Fleiß bestellt mit Ampfer und Salat und was man brauchen kann, um Margot Sonntags einen Strauß zu binden: Jasmin und Quendel waren dort zu finden. Da dies Idyll ein Hase störte, ging der Mann zum Schloßherrn, um darüber Klage vorzubringen. »Es nimmt«, so sprach er, »abends spät und morgens früh dort seinen Wechsel das verfluchte Vieh. Es spottet aller Schlingen, und Steine nicht noch Knüppel können es bezwingen. Ein Hexenmeister scheint's zu sein!« »Ein Hexenmeister?« lacht der Herr; »ich hege Zweifel, doch wär es selbst der Teufel, mein Hektor fing ihn ein! Bei Gott, mein Freund, ich werde dich davon befrein!« »Und wann?« – »Und morgen – unverzüglich.« Auf morgen kam man also überein.

     

    Der Herr erscheint mit Hund und Leuten hinterdrein. »Frühstücken wir!« sagt er vergnüglich. »Sind deine Hühner zart? – Sieh da, dein Töchterlein! Tritt näher, Schätzchen! Nun, wann soll denn Hochzeit sein? Wann haben wir den Eidam hier? Man säume nicht, daß man die Sache vorbereite.« So knüpft er die Bekanntschaft an mit ihr, gewährt ihr Platz an seiner Seite, nimmt ihre Hand, den Arm und hebt gelind ihr Busentüchlein – Späße, deren dieses Kind sich aus Respekt nur zag erwehrt, was ihrem Vater kein Gefallen abgewinnt. Inzwischen wird die Küche arg geleert. »Sind deine Schinken frisch? Sie sehn vorzüglich aus!« »Herr, sie sind Euer.« – »Oh, wir nehmen gern sie mit!« Der Herr hält Mahl mit seinem ganzen Haus, auch Hund und Pferde zeigen großen Appetit. Der Herr befiehlt herum und nimmt sich viel heraus, trinkt unsers Landmanns Wein und kost sein Töchterlein. Dem Frühstück folgt der Jagdtumult.


    Man rüstet, lärmt voll Ungeduld, Die Hörner und Trompeten toben drein, Es scheint die Hölle los zu sein! Wie hat man da den armen Garten zugerichtet! Ihr schönen Beete all, ade! Ade, Zichorie und Porree! Der Biedermann steht wie sein Garten ganz vernichtet. Kaum reicht es noch für einen Teller Suppe hin. Der Hase saß versteckt in einem Kohlbeet drin; man sucht und hetzt ihn, und er flüchtet schnell durch ein Loch der Hecke, das der Herr zuvor dort hauen ließ; doch war's kein Loch, es war ein Tor, damit man hoch zu Pferde durch die dichten Hecken das Wild verfolgen könne, um es hinzustrecken. »Ach,« rief verzweifelt unser Mann, »das hier sind fürstliche Vergnügen!« Jedoch er mußte in Geduld sich fügen, denn keiner hörte seine Klagen an. Man jagte weiter um die Wette, und mehr Verwüstung machten sie in einer Stunde, als die gesamte Hasenschar aus weiter Runde in hundert Jahren angerichtet hätte.


    Ihr kleinen Fürsten, schlichtet euren Streit allein, ihr wäret Narren, zögt ihr Könige hinein. Ihr Beistand würde nicht zu eurem Heile frommen, o laßt sie nie auf euren Grund und Boden kommen!

     


    Jean de La Fontaine 

  • Blühte mir ein schöner Garten

    Blühte mir ein schöner Garten

    Voll der Allerschönsten Blumen;

    Malven, die den Himmel suchen,

    Veilchen, Rittersporn und Flieder,

    Nelken, Lilien und Resede.


    Doch die schönsten Blumen alle

    Mochten mir nicht so gefallen,

    Als ein wildes Rosenstöckchen

    Am gegitterten Geländer.


    In der Blätter dunklem Grüne

    Leuchteten die rothen Blumen

    Freundlich, wie die Morgenröthe;

    Und sie dufteten so lieblich,

    Früh am Morgen, spät am Abend,

    Daß ich manche liebe Stunde

    An dem Rosenstöckchen wohnte.


    Und der Gärtner sah mein Lieben,

    Und noch mehr mich zu vergnügen

    Schnitt er weg die wilden Ranken

    Und die Dornen an den Stielen,

    Die mir wohl die Hände ritzten.


    Als ich nach gewohnter Weise

    Abends zum Geländer schreite,

    Ist der ganze Busch verwüstet:

    Jeder der vorüber wallte,

    Brach vom unbewehrten Busche

    Im Vorbeigeh'n Blum' und Knospe;

    Trauernd ging ich aus dem Garten,

    Denn die zarten Blumen alle,

    Wie der Regenbogen lieblich,

    Wie aus Paradiesen duftend,

    Konnten mir das Rosenbäumchen

    am Geländer nicht ersetzten.


    Und die Rose war mein Liebchen,

    Und der Gärtner war sie selber,

    Und der Garten meine Heimath.

     


    Julius Curtius 

  • Amor im Garten

    Die Sonne sank nach Westen

    Und strahlte noch im Sinken

    Die letzte Abendröthe;

    Da lockte mich ein Cephyr

    Aus meinem stillen Zimmer;

    Ich folgt’ ihm gern in’s Freie,

    Wo tausend Rosen blühten,

    Um die er gaukelnd scherzte!


    Der Büsche kleine Sänger

    Ergötzten mich im Grünen,

    Und meine Augenlider

    Befiel ein süßer Schlummer.


    Ich träumte von der Liebe,

    Ich träumte von Dorinden,

    Von Daphnen und Ismenen,

    Und klagte meine Leiden

    Der Liebesgöttin, trauernd,

    Und sag’ ihr von Dorinden. –


    Sie sprach: »Sie soll dich lieben!«

    Und plötzlich wacht’ ich wieder

    Und fand mich wie begraben

    In frischen Rosenblättern!



    Ich sprang von meinem Lager,

    Den losen Gast zu suchen,

    Der mich so schön begraben;

    Fühlt’ aber plötzlich Schmerzen.


    Ein kleines Kind mit Flügeln,

    Wie ich noch nie gesehen,

    Saß lächelnd hinter Rosen,

    Und wies mir mit dem Bogen

    Dorinden in der Laube.


    Welch eine Wunde, Doris!

    Sie schmerzt’ und that doch sanfte!

    Doch hatt’ ich in der Laube

    Dorinden kaum erblicket,

    Da schwanden alle Schmerzen,

    Denn sie war gar zu freundlich!

     


    Johann Wilhelm Ludwig Gleim 

  • Flüstern

    Am leuchtenden Sommermorgen

    geh ich im Garten herum.

    Es flüstern und sprechen die Blumen,

    ich aber, ich wandle stumm.



    Heinrich Heine 

  • Der Waldbach

    Horchet und lauschet,

    Wie’s zischelt und rauschet,

    Wie’s sprudelt und quillt,

    Die Lüfte erfüllt,

    Den grünenden Raum

    Mit perlendem Schaum,

    Wie’s bröselt und fällt,

    Bald schäumend zerschellt,

    Dann wieder und wieder,

    Bald auf und bald nieder,

    Eilt über Gerölle

    Von Stelle zu Stelle,

    Von Kiesel zu Kiesel

    Mit lust’gem Geriesel,

    Bald hin und bald her,

    Bald kreuz und bald quer

    Auf zackigtem Wege

    Sich suchet die Stege,

    Wie’s Pflanzen und Moos

    Reißt mutwillig los

    Und flieht mit der Beute

    Dann rastlos ins Weite,

    Wie’s ferne dann leise

    In neckischer Weise

    Sich schäkernd versteckt

    Und schelmisch euch neckt,

    Zuletzt von der Höh’

    Ruft scheidend: Ade!

     


    Hugo Lissauer 

  • Letzter Frühling

    Nimm die Forsythien tief in dich hinein

    und wenn der Flieder kommt,

    vermisch auch diesen

    mit deinem Blut und Glück und Elendsein,

    dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.

    Langsame Tage. Alles überwunden.

    Und fragst du nicht, ob Ende, ob Beginn,

    dann tragen dich vielleicht die Stunden

    noch bis zum Juni mit den Rosen hin.



    Gottfried Benn 

  • Die Natur lesen

    Die Natur ist doch das einzige Buch,

    das auf allen Blättern großen Gehalt bietet.


    Wie lesbar mir das Buch der Natur

    wird, kann ich dir nicht ausdrücken;

    mein langes Buchstabieren hat mir

    geholfen, jetzt rückt's auf einmal,

    und meine Freude ist unausprechlich.

     

    Sieh, so ist Natur ein Buch lebendig,

    unverstanden, doch nicht unverständlich

     


    Johann Wolfgang von Goethe 

  • Die Pflanze

    gleicht den eigensinnigen Menschen,

    von denen man alles erhalten kann,

    wenn man sie nach ihrer Art behandelt.

    Ein ruhiger Blick

    eine stille Konsequenz,

    in jeder Jahreszeit,

    in jeder Stunde

    das ganz Gehörige tun,

    wird vielleicht von niemand mehr

    als vom Gärtner erwartet.


    Goethe 

  • Was die Distel erlebte

    Zu dem reichen Herrensitz gehörte ein schöner, gutgehaltener Garten mit seltenen Bäumen und Blumen; die Gäste auf dem Schloß äußerten ihr Entzücken darüber, die Bewohner der Umgegend, vom Lande wie aus den Städten, kamen an Sonn- und Feiertagen und baten um Erlaubnis, den Garten zu sehen, ja, ganze Schulen fanden sich zu ähnlichen Besuchen ein.


    Vor dem Garten, an dem Gitter nach dem Feldwege hinaus, stand eine mächtige Distel; sie war so groß, von der Wurzel aus in mehrere Zweige geteilt, daß man sie wohl einen Distelbusch nennen konnte. Niemand sah sie an außer dem alten Esel, der den Milchwagen des Milchmädchens zog. Er machte einen langen Hals nach der Distel und sagte: "Du bist schön! Ich könnte dich auffressen!" Aber die Leine, an der der Esel angepflockt stand, war nicht lang genug, als daß er sie hätte fressen können.


    Es war große Gesellschaft im Schloß, hochadelige Verwandte aus der Hauptstadt, junge, niedliche Mädchen und unter ihnen ein Fräulein von weit her; sie kam aus Schottland, war von vornehmer Geburt, reich an Geld und Gut, eine Braut, deren Besitz sich schon verlohne, sagte mehr als ein junger Herr, und die Mütter sagten es auch.


    Die Jugend tummelte sich auf dem Rasen und spielte Krocket; sie gingen zwischen den Blumen umher, und ein jedes der jungen Mädchen pflückte eine Blume und steckte sie einem der jungen Herren ins Knopfloch; aber die junge Schottin sah sich lange um, verwarf eine Blume nach der andern; keine schien nach ihrem Geschmack zu sein; da sah sie über das Gitter hinüber, da draußen stand der große Distelbusch mit seinen rotblauen, kräftigen Blüten, sie sah sie, sie lächelte und bat den Sohn des Hauses, ihr eine zu pflücken.


    "Das ist Schottlands Blume!" sagte sie. "Sie prangt in dem Wappen des Landes, geben Sie mir die!"


    Und er holte die schönste, und sie stach ihn in die Finger, als wachse der stärkste Rosendorf daran.


    Die Distelblüte steckte sie dem jungen Mann ins Knopfloch, und er fühlte sich hochgeehrt. Alle die andern jungen Herren hätten gern ihre Prachtblume hergegeben, um diese tragen zu können, die von den feinen Händen der jungen Schottin gespendet war. Und wenn sich der Sohn des Hauses geehrt fühlte, wie mochte sich da die Distel vorkommen! Es war, als durchströmten sie Tau und Sonnenschein.


    "Ich bin mehr, als ich glaube!" sagte sie im stillen. "Ich gehöre wohl eigentlich hinter das Gitter und nicht draußen auf das Feld. Man wird hier in der Welt wunderlich gestellt! Aber nun ist doch eine von den Meinen über das Gitter gekommen und sitzt obendrein im Knopfloch!"


    Jeder Knospe, die kam und sich entfaltete, erzählte sie diese Begebenheit, und es waren noch nicht viele Tage vergangen, da hörte der Distelbusch, nicht von Menschen, nicht aus dem Vogelgezwitscher, sondern aus der Luft selber, die Laute auffängt und weiterträgt, aus den innersten Gängen des Gartens und aus den Zimmern des Schlosses, wo Türen und Fenster offenstehen, daß der junge Her, der die Distelblüte aus der Hand der feinen jungen Schottin erhielt, nun auch die Hand und das Herz bekommen habe. Es sei ein schönes Paar, eine gute Partie.


    "Die habe ich zusammengebracht!" meinte der Distelbusch und dachte an die Blüte, die er für das Knopfloch hergegeben hatte. Jede Blüte, die aufbrach, bekam das Ereignis zu hören.


    "Ich werden gewiß in den Garten gepflanzt," dachte die Distel, "Vielleicht in einen Topf gestellt, der klemmt, das soll ja das allerehrenvollste sein!"


    Und der Distelbusch dachte so lebhaft daran, daß er mit voller Überzeugung sagte: "Ich komme in einen Topf!"


    Er versprach jeder kleinen Distelblüte, die aufsproßte, daß sie auch in den Topf kommen solle, vielleicht gar ins Knopfloch. Das war das Höchste, was erreicht werden konnte; aber keine kam in den Topf, geschweige denn ins Knopfloch; sie tranken Luft und Licht, sie schleckten Sonnenschein am Tage und Tau in der Nacht, blühten, bekamen Besuch von Bienen und Bremsen, die nach Mitgift suchten, nach dem Honig in der Blüte, und den Honig nahmen sie, die Blume ließen sie stehen. "Das Räubergesindel!" sagte der Distelbusch. "Könnte ich sie doch auffressen! Aber das kann ich nicht!"


    Die Blüten ließen den Kopf hängen, welkten hin, aber es kamen neue.


    "Ihr kommt wie gerufen!" sagte der Distelbusch. "Jede Minute erwarte ich, daß man uns hinter das Gitter verpflanzt!"


    Ein paar unschuldige Gänseblümchen und Wegerichpflanzen standen da und hörten mit Bewunderung zu und glaubten alles, was der Distelbusch sagte.


    Der alte Esel vom Milchwagen schielte vom Wegesrande zu dem Distelbusch hinüber, aber die Leine war zu kurz, er konnte ihn nicht erreichen.


    Und die Distel dachte so lange an die Distel Schottlands, zu deren Familie sie sich zählte, daß sie schließlich glaubte, sie sei aus Schottland gekommen und ihre Eltern wären selber im Wappen Schottlands erblüht. Das war ein großer Gedanke, aber eine große Distel kann wohl einen großen Gedanken haben.


    "Man ist oft von so vornehmer Familie, daß man es gar nicht zu wissen wagt!" sagte die Nessel, die dicht daneben wuchs; sie hatte auch eine Ahnung davon, daß sie zu "Nesseltuch" werden könne, wenn sie nur richtig behandelt würde.


    Und der Sommer verging, und der Herbst verging; die Blätter fielen von den Bäumen, die Blumen bekamen stärkere Farben und weniger Duft.


    Die jungen Tannenbäume im Walde fingen an, Weihnachtssehnsucht zu bekommen, aber es war noch lange bis Weihnachten.


    "Hier stehe ich noch!" sage die Diestel. "Es ist, als wenn niemand an mich dächte, und ich habe doch die Partie gemacht; verlobt haben sie sich, und Hochzeit haben sie gefeiert, es ist jetzt acht Tage her. Ja, ich, ich tue keinen Schritt, denn ich kann es nicht!"


    Es vergingen noch einige Wochen; die Distel stand mit ihrer letzten, einzigen Blüte, groß und voll, ganz nahe an der Wurzel war sie empogesproßt. Der Wind wehte kalt darüber hin, die Farben vergingen, die Pracht verging, der Kelch stand wie eine versilberte Sonnenblume da.


    Da kam das junge Paar, jetzt Mann und Frau, in den Garten; sie gingen am Gitter entlang, die junge Frau sah darüber hinaus.


    "Da steht die große Diestel noch!" sagte sie. "Jetzt hat sie keine Blüte mehr!"


    "Ja, da ist das Gespenst von der letzten!" sagte er und zeigte auf den silberschimmernden Rest der Blüte, der selbst eine Blüte war.


    "Wie schön die ist!" sagte sie. "So eine Distel muß in den Rahmen um unser Bild geschnitzt werden!"


    Und der junge Mann mußte abermals über das Gitter steigen und den Distelkelch abschneiden. Er stach ihn in die Finger, er hatte ihn ja "Gespenst" genannt. Und der Kelch kam in den Garten und in das Schloß und in den Saal; da stand ein Gemälde: das junge Ehepaar. In das Knopfloch des Bräutigams war eine Distelblüte gemalt. Man sprach davon, und man sprach von dem Diestelkelch, den sie brachten, die letzte, jetzt silbern schimmernde Distelblüte, die in den Rahmen hineingeschnitzt werden sollte.


    "Was man doch alles erleben kann!" sagte der Distelbusch. "Meine Erstgeborene kam ins Knopfloch, meine Letztgeborene kommt in den Rahmen! Wohin komme ich?"


    Und der Esel stand am Wegesrande und schielte zu dem Busch hinüber.


    "Komm zu mir, mein Freß-Schatz! Ich kann nicht zu dir kommen, die Leine ist nicht lang genug!"


    Der Distelbusch antwortete nicht. Immer mehr versank er in Gedanken; er dachte und dachte, ganz bis an die Weihnachtszeit hinan, und dann zeigte der Gedanke seine Blüte.


    "Wenn die Kinder glücklich drinnen sitzen, findet eine Mutter sich darein, außerhalb des Gitters zu stehen!"


    "Das ist ehrenwert gedacht!" sagte der Sonnenstrahl. "Sie sollen auch einen guten Platz bekommen!"


    "Im Topf oder im Rahmen?" fragte die Distel.


    "In einem Märchen!" sagte der Sonnenstrahl.


    Und hier ist es!



    Hans Christian Andersen

  • Februar

    Im Winde wehn die Lindenzweige,

    von roten Knospen übersäumt;

    die Wiegen sind`s worin der Frühling

    die schlimme Winterzeit verträumt.



    Theodor Storm

  • Landleben

    Es ist noch früh im Jahr. Die Gräser steigen

    in Silberbüscheln zum Gezweig ums Haus.

    Das Buch der Landschaft les ich nimmer aus.

    Zehntausend Strophen weiß die Drossel.

    Schweigen


    Am Abend dann. Der Acker ist gepflügt.

    Ein andres Buch hat mich hinabgenommen.

    Ein Wagen hält. Ein Freund ist angekommen.

    Ein Buch. Ein Freund. Ein Acker. Das genügt.


    Den Wein, den wir nun langsam trinken wollen,

    das Brot, die Früchte hab ich selbst gebaut

    und oft nach einem Regen ausgeschaut.

    Ein Windhauch. Kühle. Ferne Donner rollen.


    Es ruft das Buch uns alte Zeiten her,

    da wir die alten Seiten wenden

    und langsam lesen wir so die Legenden

    von Berg und Fluß.

    Mein Freund, was willst du mehr?



    Tau Yüang Ming 

  • Stille Kameraden

    Sie stehen still, die Häupter stolz erhoben.

    Aus einem Kern entkeimten sie der Erde Schoß.

    Sie wuchsen langsam, wurden mächtig, stark und groß

    und strebten stets zum Licht empor, nach oben.

    Sie überlebten Menschen und die Zeiten.

    Berichten stumm aus den Vergangenheiten,

    erzählen Märchen uns auf Waldes Pfaden,

    die Bäume, diese stillen Kameraden.


    In ihnen lebt ein ganz geheimes Schweigen,

    und wer die Bäume liebt, der wird es wohl verstehn.

    Man hört die Zwerge kichern, flüstern mit den Feen

    und den Gesang der Englein in den Zweigen.

    Die Bäume sind verwurzelt mit den Tagen

    der Väter und der Heldensagen.

    Die allerschönsten Lieder und Balladen

    erdichten uns die stillen Kameraden.


    Es ist ein Wunder, Bäume anzusehen

    in ihrer Größe, Stärke und Beständigkeit.

    Die rauhen Stämme stehen fest zu jeder Zeit,

    wenn auch die Äste krachen und die Stürme wehen.

    Sie streben zu der Sonne, zu den Sternen.

    Wir kleinen Menschenkinder sollten lernen,

    des Lebens Bürde stolz auf uns zu laden

    wie diese starken, stillen Kameraden.

     


    Fred Endrikat 

  • Der nutzlose Strauch

    Es war in den geweihten Nächten

    Frau Holle ging durchs Menschenland

    Sie horchte, was die Zeiten brächten

    sah auf alles, was sie fand


    Sie lauschte dem Gesang der Bienen

    der Tiere Atem unter'm Schnee

    Sie sah der Menschen stille Mienen

    all der Wesen Glück und Weh


    Da stand auf der verschneiten Heide

    ein kahler, einsam dürrer Strauch

    Sie fragte ihn, warum er leide

    'Große Mutter, nicht ein Hauch

    von Sinn und Nutzen wird gefunden

    an mir und meiner arm Gestalt

     

    Nicht mal in späten Abenstunden,

    wenn es draußen ist so kalt

    gebraucht man mich zum Feuern, Heizen

    All Deine Kinder Hasel, Klee,

    der Ginster, Flachs und guter Weizen

    dienen allen - weh oh weh'


    Die Holle sagt: 'es muss geschehen!

    Weil du den Menschen hold und Freund

    sollst du als 'Hollerbusch' hier stehen;

    Edler Kraft und reich gesäumt'


    Ihr Segen war von großer Wirkung

    Die Menschen holten ihn zurück

    Er schützte, heilte, brachte Stärkung

    nährte sie, bescherte Glück



    Jürgen Wagner 

  • Souvenir

    Ein Grünes Blatt aus sommerlichen Tagen,

    ich nahm es so im Wandern mit,

    auf daß es einst mir möge sagen,

    wie laut die Nachtigall geschlagen,

    wie grün der Wald den ich durchschritt.



    Theodor Storm

  • Studium der Natur

    Es geht doch nichts über die Freude, die uns das Studium der Natur gewährt. Ihre Geheimnisse sind von einer unergründlichen Tiefe; aber es ist uns Menschen erlaubt und gegeben, immer weitere Blicke hineinzutun.

    Und gerade, daß sie am Ende doch unergründlich bleibt, hat für uns einen ewigen Reiz, immer wieder zu ihr heranzugehen und immer wieder neue Einblicke und neue Entdeckungen zu versuchen.



    Goethe

  • Von den heimlichen Rosen

    Oh, wer um alle Rosen wüsste,

    die rings in stillen Gärten stehn -

    oh, wer um alle wüsste, müsste

    wie im Rausch durchs Leben gehn.


    Du brichst hinein mit rauhen Sinnen,

    als wie ein Wind in einen Wald -

    und wie ein Duft wehst du von hinnen,

    dir selbst verwandelte Gestalt.


    Oh, wer um alle Rosen wüsste,

    die rings in stillen Gärten stehn -

    oh, wer um alle wüsste, müsste

    wie im Rausch durchs Leben gehn.

     


    Christian Morgenstern 

  • Jardin nocturne

    Nocturne jardin tout empli de silence,

    Voici que la lune ouverte se balance

    En des voiles d'or fluides et légers ;

    Elle semble proche et cependant lointaine...

    Son visage rit au coeur de la fontaine

    Et l'ombre pâlit sous les noirs orangers.


    Nul bruit, si ce n'est le faible bruit de l'onde

    Fuyant goutte à goutte au bord des vasques rondes,

    Ou le bleu frisson d'une brise d'été,

    Furtive parmi des palmes invisibles...

    Je sais, ô jardins, vos caresses sensibles

    Et votre languide et chaude volupté !


    Je sais votre paix délectable et morose,

    Vos parfums d'iris, de jasmins et de roses,

    Vos charmes troublés de désirs et d'ennui...

    Ô jardin muet ! -- L'eau des vasques s'égoutte

    Avec un bruit faible et magique... J'écoute

    Ce baiser qui chante aux lèvres de la Nuit.



    Renée de Brimont 

  • Glück

    besteht in der Kunst,

    sich nicht zu ärgern,

    dass der Rosenstrauch Dornen trägt,

    sondern sich zu freuen,

    dass der Dornenstrauch Rosen trägt.



    Arabisches Sprichwort 

  • Die verliebte Harke

    Es war einmal eine Harke, die stand im Eisenwarengeschäft in einer Ecke hinter einem Spaten. Sie bewunderte seine breitbeinige Standfestigkeit, aber noch mehr beglückte es sie, dass er auf seiner glatten Arbeitsfläche einen großen Teil des Ladens spiegelte, denn sie selber konnte nichts sehen – außer diesem Spiegelbild.


    Mit der Zeit verliebte sich die Harke in den Spaten, so dass sie nur noch mit ihm zusammensein wollte, und der Spaten erwiderte die Liebe, denn er kam sich im Vergleich zu ihr grob und platt vor. Dagegen war die Harke wie eine elegante Dame. Als er merkte, dass sie ihn mochte, tat er so, als rutsche er aus und lehnte sich an sie. Das ließ sich die Harke gerne gefallen, zumal da er zugleich seine Blickrichtung änderte und nun einen anderen Teil des interessanten Raumes spiegelte. Da die beiden so vertraut bei einander standen und weil sie ohnehin als Arbeitsgeräte zusammengehörten, wurden sie gemeinsam verkauft und kamen in denselben Garten.


    Es war ein wunderbar aus Regen und Sonnenschein gemischter Frühling, als die beiden zum ersten Mal in ihrem Leben in Dienst genommen wurden. Der Spaten stach mit Vergnügen in die Erde und warf Scholle um Scholle zu einem Beet auf, damit hübsche Blumen darauf wachsen konnten. Die Harke stand verliebt daneben und sah zu. Sie wusste von Natur aus, dass sie nicht helfen, sondern nur verfeinern konnte. Also wartete sie ab. Als der Spaten fertig war und sich zum Ausruhen am Rand des Beetes niedergelassen hatte, machte sich die Harke ans Werk. Zug um Zug zerbröckelte sie die plumpen Schollenklötze und verteilte das feine Gebrösel zu einer ebenen Fläche.


    "Aber was machst du da?" empörte sich ihr Geliebter, "du machst ja alles wieder kaputt, was ich so gründlich aufgebaut habe."


    "Nicht doch," lispelte die Harke mit Sand zwischen den Zähnen, "ich vollende doch nur, was du angefangen hast."


    "Das ist nicht nötig, ich mache keine halben Sachen, also lass das bitte."


    Die Harke, die keinen Streit wollte, gab auf. Ein paar Wochen später kamen die beiden wieder in den Garten. Da sahen sie, dass auf dem geharkten Teil des Beetes gesunde grüne Pflanzen standen, denen man die Lust am Wachsen ansah. Auf dem ungeharkten Teil aber lümmelten sich kreuz und quer die Artgenossen, die keinen rechten Halt hatten. Auf den Schrägen der Scholle waren sie fast waagerecht ausgeschlüpft und hatten sich dann nach oben zur Sonne gekrümmt; nur auf den Graten der Erde standen einige aufrecht, allerdings nicht in Reih und Glied, denn die Brocken lagen unregelmäßig im Beet.


    "Hm," machte der Spaten, "es ist wohl doch besser, wenn du meine Arbeit verfeinerst. Aber bilde dir ja nicht ein, dass du so ein Beet ohne mich zuwege bringst."


    "Aber nein," flüsterte die Harke zärtlich, "ich bin doch nur für den Zierrat gut."


    Diese Bescheidenheit rührte den Spaten, so dass er großmütig zugab: "Nein, meine Liebste, deine Feinarbeit ist notwendig, weil das Feine sonst nicht gedeiht."


    Von nun an lebten und arbeiteten Harke und Spaten in harmonischer Eintracht. Übrigens sah die Harke die Welt längst mit eigenen Augen, aber sie blickte doch immer wieder gerne in den Spiegel des Spatens.

     


    Helmut Wördemann 

  • Der Lindenbaum

    Am Brunnen vor dem Thore

    Da steht ein Lindenbaum:

    Ich träumt’ in seinem Schatten

    So manchen süßen Traum.


    Ich schnitt in seine Rinde

    So manches liebe Wort;

    Es zog in Freud und Leide

    Zu ihm mich immer fort.


    Ich mußt’ auch heute wandern

    Vorbei in tiefer Nacht,

    Da hab’ ich noch im Dunkel

    Die Augen zugemacht.


    Und seine Zweige rauschten,

    Als riefen sie mir zu:

    Komm her zu mir, Geselle,

    Hier findst Du Deine Ruh’!


    Die kalten Winde bliesen

    Mir grad’ in’s Angesicht;

    Der Hut flog mir vom Kopfe,

    Ich wendete mich nicht.


    Nun bin ich manche Stunde

    Entfernt von jenem Ort,

    Und immer hör’ ich’s rauschen:

    Du fändest Ruhe dort!



    Wilhelm Müller

  • Zwölfte Stufe. Frieden

    Ich freue jeden Tag dem Abend mich entgegen

    Und jede Nacht im Traum mich auf den Morgensegen.

    Ich freue still mich mit unungestümer Lust,

    Nicht ungeduldig ist die Freud' in meiner Brust.

    Ich freu' mich auf die Stund' und auf den Augenblick,

    Auf groß und kleines, mein und anderer Geschick.

    Vom Herbst den Winter durch freu' ich dem Lenz mich zu

    Und aus dem Sommer durch den Herbst zur Winterruh'.

    Ich freu' mich durch des Jahrs und durch des Lebens Zeit,

    Und aus der Zeit hinaus mich in die Ewigkeit.


    Ring' an, den Himmel mit der Erde auszugleichen!

    Wer das errungen hat, der trägt das Siegeszeichen.

    's ist keine Kunst, die Welt roh untern Fuß zu treten:

    So zarte Blumen blühn auf diesen Gartenbeeten.

    Es ist auch keine Kunst, den Himmel für die Schwachen

    Einladend und dem Trotz die Hölle heiß zu machen.

    Den Himmel zieh herab, die Erd' empor mit Brunst,

    Nur das, der Rede wert, ist Erdenhimmelskunst.


    Nicht auf die Schwalbe, die des Frühlings Botschaft bringt

    Und mir von ewiger Erneuung Lieder singt,

    Freu' ich so sehr mich als auf einen Freundesgruß,

    Der das mir bringt, was ich zum Leben haben muß:

    Daß Zeitenwechsel geht, fest die Gesinnung steht,

    Ist, was mein Herz mit mehr als Frühlingshauch durchweht.


    Wo schließet sich der Raum und stehet still die Zeit?

    Wo endet hier und dort sich die Unendlichkeit?

    Dort endet sie in Gott, hier endet sie in dir;

    Der Schein Unendlichkeit steht zwischen dort und hier.

    Den Schein, der zwischen dir und Gott steht, räume fort,

    Und einfällt Raum und Zeit, dein Hier ist ewig dort.


    Dem müden Wandersmann ist doch die Nacht willkommen,

    Die den bestaubten Stab ihm aus der Hand genommen.

    Und wenn das Leben nun ist eine Wanderreise,

    Was freuet Lebende der Tod nicht gleicherweise?

    Den Wand'rer freut die Nacht, nur wenn er ist am Ziel,

    Auf halbem Wege nicht, wenn sie ihn überfiel.

    Die meisten fürchten sich darum vorm Tod vielleicht,

    Weil sie des Lebens Ziel noch haben nicht erreicht.


    Unruhig ist die Welt, unruhig ist das Herz,

    Und eins das andre setzt in Unruh' allerwärts.

    Im Himmel nur ist Ruh', im Himmel nur ist Frieden;

    O fänd' ich Ruh', von mir und von der Welt geschieden!

    Komm, Gottesruh', den Sturm mir aus der Brust zu hauchen!

    Laß mich den Krieg der Welt in deinen Frieden tauchen.


    Mit Einzelliebe wer beginnet zu verschwenden

    Den Schatz des Herzens, wird mit Eigenliebe enden.

    Allliebe sei es, die zuerst das Herz erfüllt,

    Aus deren Zauberduft sich Einzellieb' enthüllt.

    Die Einzelliebe blüht und welkt, der Traum sinkt nieder,

    Und wie am Anfang steht am End' Allliebe wieder:

    Allliebe zur Natur, zu jeder Kreatur,

    Zu Gott und in dir selbst zu jeder Gottesspur.


    Woher ich kam, wohin ich gehe, weiß ich nicht;

    Doch dies: von Gott zu Gott! ist meine Zuversicht.

    Warum ich jetzo bin und andre sonst gewesen;

    Warum mir dieser Platz, kein andrer, ist erlesen?

    Ich blühe wie die Blum' und wachse wie der Baum

    In meiner Jahreszeit, in meinem Gartenraum.

    Im großen Garten ist kein abgelegnes Beet,

    Das nicht zu seiner Zeit von Lenzluft ist durchweht.

    Kein abgelegnes Beet, das nicht erblüht in Wonne

    An seines Gärtners Blick, sein Blick ist Mond und Sonne.

    Ich fühle Sommerlust und fühle Winterschauer,

    Und einen Schauder, daß ich bin von kurzer Dauer,

    Doch eine Ahnung, daß ich ewig bin vom Stamme,

    Und daß nicht sich verzehrt, die mich verzehrt, die Flamme.

    Es ist ein nied'rer Trieb in mir und höh'res Streben,

    Dem soll ich folgen und mich jenem nicht ergeben.

    Zur reinsten Blüte will ich meine Lust entfalten,

    Und meine Schmerzen selbst zu Wonnen umgestalten.

    Ich steh' in Gottes Hand und ruh' in Gottes Schoß;

    Vor ihm fühl' ich mich klein, in ihm fühl ich mich groß.


    Unendlich ist zugleich und endlich jedes Ding;

    Dort achtest du es groß, hier schätzest du's gering.

    Das, was du liebest, lern' als ewig festzuhalten,

    Gewurzelt im Gemüt, um niemals zu veralten.

    Doch was Unliebes dir macht Ärger und Verdruß,

    Das wirf entschlossen in der ird'schen Dinge Fluß.

    Dich tröst' es, daß im Fluß es wird vorübertreiben,

    Im Meer der Ewigkeit wird deine Liebe bleiben.


    In allen Zonen liegt die Menschheit auf den Knien

    Vor einem Göttlichen, das sie empor soll ziehn.

    Verachte keinen Brauch und keine Flehgebärde,

    Womit ein armes Herz emporringt von der Erde.

    Ein Kind mit Lächeln kämpft, ein andres mit Geschrei,

    Daß von der Mutter Arm es aufgenommen sei.


    Die Welt ist öd' und leer und grenzenlos der Raum,

    Wo nicht die Liebe wohnt mit einem Himmelstraum, -

    Wo nicht die Liebe wohnt, von der, zu der du gehst,

    Um deren Mittelpunkt du dich im Geiste drehst.

    Drum denke, wo du gehst, damit nicht öd' erscheine

    Die Welt, daß eine Lieb' auch dort wohnt, irgend eine, -

    Daß irgend einer dort träumt seinen Liebestraum;

    Den gönn' ihm, träume mit, und voll sei dir der Raum.


    Ich habe doch genug des Schönen aller Art

    Auf dieser eiligen Vorüberfahrt gewahrt,

    Auf dieser eiligen Vorüberfahrt durchs Leben,

    Genug, den Menschengeist über die Welt zu heben;

    Genug des Göttlichen im Menschenangesicht,

    Im Spiegel der Natur und Dichtung Zauberlicht.

    Und wenn es mehr nicht war, so war es meine Schuld;

    Und daß es so viel war, ist Gottes große Huld;

    Die Strahlen jener Huld, die selbst das Aug' erschließen,

    Das eigensinnig sich dem Lichte will verschließen;

    Den Augendeckel rührt der Himmelkuß gelind:

    Sieh, das ist Gottes Welt und du bist Gottes Kind.


    Die Tage nach dem Tag, wo du gepflanzt den Baum,

    An dem du blühen siehst der Zukunft goldnen Traum,

    Die Tage wünschest du, daß sie geflügelt seien,

    Um nur mit einemmal zu sehn des Baums Gedeihen.

    Doch geben kann dein Wunsch den Tagen keine Flügel;

    Die starke Hand der Zeit führt sie am festen Zügel.

    Und desto langsamer siehst du dahin sie schreiten,

    Je ungeduldiger du wünschest ihr Entgleiten.

    O wünsche nichts vorbei und wünsche nichts zurück!

    Nur ruhiges Gefühl der Gegenwart ist Glück.

    Die Zukunft kommt von selbst, beeile nicht die Fahrt!

    Sogleich Vergangenheit ist jede Gegenwart.

    Du aber pflanz' ein Kraut an jedem Tag im Garten,

    So kannst du jeden Tag auch eine Blüt' erwarten.


    Du fragst, wie Ewigkeit du dir auf Erden dichtest?

    Nicht anders als indem du Zeit und Raum vernichtest.

    Die Zeit vernichtest du, wenn selig du vergissest

    Vergangenes und nicht Zukünftiges ermissest.

    Den Raum vernichtest du, wenn, wo du bist, du bleibst

    In Frieden, dich nicht um in fremden Kreisen treibst.

    Dadurch vernichtest du nicht völlig Zeit und Raum,

    Doch ist, was übrigbleibt, dir nur ein leichter Traum.

    Aus diesem Traume laß vom Wachen dich nicht stören;

    Was hast du auf der Welt zu sehn noch und zu hören?

    Und was du hören mußt und sehn, dir ist gegeben

    Die Kunst, es deinem Traum unstörend einzuweben.


    Geh unempfindlich nicht und ungerührt vorbei

    Vorm Schönen dieser Welt, als ob's nicht Gottes sei.

    Zu schauen Blumenflor, zu hören Vogelchor,

    Hat er das Auge dir erschlossen und das Ohr.

    Wenn du verstopfen willst das Ohr, das Auge schließen,

    Kann Gottes Preis dir nicht ertönen und ersprießen.

    Viel Schönes hat die Welt, das, um von dir genossen

    Zu werden, Gott erschuf, genieß' es unverdrossen!


    Es ist ein Ewiges, das wandelt und das bleibt,

    Das in sich selber ruht und ruhlos alles treibt.

    Du mußt Erregungen und Leidenschaften lassen,

    Wenn du das Ewige, das ruhet, willst erfassen.

    Du mußt Erregungen und Leidenschaften hegen,

    Wenn dich das Ewige, das wandelt, soll bewegen

    Erfassend und erfaßt, erregend und erregt,

    Sei gleich dem Ew'gen selbst, bewegt und unbewegt.


    Mit Unvollkommenheit zu ringen ist das Los

    Des Menschen, ist sein Wert und nicht sein Mangel bloß.

    Was unvollkommen ist, das soll vollkommen werden;

    Denn nur zum Werden, nicht zum Sein, sind wir auf Erden.


    Am letzten Tag des Jahrs blick' ich zurück aufs ganze,

    Und leuchten seh' ich es gleich einem Gottesglanze.

    Es war nicht lauter Licht, nicht lauter reines Glück,

    Doch nicht ein Schatten blieb in meinem Sinn zurück.

    Die Freuden blühn mir noch, die Leiden sind erblichen,

    Und ins Gefühl des Danks ist alles ausgeglichen.

    Ich gab mit Lust der Welt das Beste, was ich hatte,

    Und freute mich zu sehn, daß sie's mit Dank erstatte.

    Nichts Bessres wünsch' ich mir, als daß so hell und klar,

    Wie das vergangne mir sei jedes künft'ge Jahr.


    Am Neujahrsmorgen merkt man wohl auf Schicksalszeichen;

    Glaubt' ich den meinigen, so müßt' ich schon erbleichen.

    Ich schlüpft', als ich aufstand, verkehrt in mein Gewand;

    Als ich die Uhr nahm, fand ich, daß sie stille stand.

    Mög' alles, was verkehrt ich dieses Jahr soll thun,

    So leicht wie dies Gewand sein umzuwenden nun!

    Und wenn mir soll die Uhr des Lebens stille stehn,

    Mög' es so unvermerkt und sanft im Schlaf geschehn!



    Friedrich Rückert